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Digital Detox im Bergidyll

Ein einschneidendes Erlebnis: Katrin Riedmayr verbrachte eine Woche ohne ihr Smartphone, aber mit vielen Naturerlebnissen – in Linda Meixners „Offline-Dorf“, einem wissenschaftlich begleiteten Digital-Detox-Projekt im Vorarlberger Bergdorf Gargellen.

Eine Woche offline, ganz ohne Smartphone? Ohne Social-Media-Berieselung, ohne Gruppenchats und ohne ständiges Scrollen nach den neuesten Nachrichten?

Für manche gar kein Problem. Für andere der Horror.

„Ich hatte mich für das Offline-Dorf angemeldet, weil angekündigt worden war, dass viele Outdoorerfahrungen dabei sind“, erzählt Katrin Riedmayr. „Außerdem wurde es wissenschaftlich begleitet – fast wie bei einem Entzug. Ich kann gar nicht genau sagen, warum meine Neugier geweckt wurde – ich glaube, tief in mir drinnen wusste ich, dass ich es brauche. Die Erfahrung hat mir die Augen geöffnet, mich selbst zu reflektieren und mir bewusst zu werden, dass Handlungsbedarf bestehen könnte.“

Im Offline-Dorf verzichteten Katrin und die anderen Teilnehmenden eine Woche lang auf ihr Smartphone und den Zugang zu sozialen Netzwerken. Stattdessen absolvierten sie ein wissenschaftlich fundiertes Interventionsprogramm, das Bewegung, Entspannung, Handwerk und Kulinarik umfasste: Expertinnen und Experten begleiteten sie bei Aktivitäten wie Yoga, Holzhacken, Eisbaden und Kochen.  

Abschalten und Energietanks aufladen – das ist das Ziel des Offline-Dorfs © Büro Ludowina

Ein Institut für den bewussten Umgang mit Smartphones

Das Offline-Dorf ist ein Projekt des Offline Institute und seiner Gründerin Linda Meixner, die als Content Creator im Ski- und Outdoorbereich auf Instagram bekannt wurde. Später schrieb sie ihre Masterarbeit über einen Selbstversuch mit 66 Tagen Smartphone-Abstinenz und verfasste in der Folge ein „Offline-Manifest“. Mit dem Institut setzt sich Linda für mehr gesellschaftliches Bewusstsein rund um Digital Detox und bewussten Umgang mit Smartphones ein.

Katrin folgte Linda schon lange auf Instagram, da sie selbst begeisterte Skifahrerin ist: „Ich fand ihre Werte gut und außerdem sympathisch, dass sie Dialekt spricht. Wir brauchen mehr Frauen wie Linda, die auf Instagram eine Vorbildfunktion für junge Frauen und Mädchen erfüllen.“ Die 28-jährige Dingolfingerin kannte auch das „legendäre Bild“ von Linda beim Fjällräven Polar 2022 – ein Anstoß für sie, sich selbst um die Teilnahme an der Hundeschlittenreise durch die arktische Wildnis Skandinaviens zu bewerben. Katrin wurde tatsächlich ausgewählt und erlebte im April 2023 eine Woche nördlich des Polarkreises, die ihr Leben veränderte.

Mitte September verbrachte Katrin dann die Woche im Offline-Dorf: Gargellen in Vorarlberg, eine beliebte österreichische Tourismusdestination mit hundert Einwohnern und die Heimat von Linda Meixner – ein Bergdorf inmitten der idyllischen Natur des Montafon.

Ab in den Käfig: Eine Woche lang werden die Smartphones hinter Gittern weggesperrt. © Büro Ludowina

Vor der Handy-Abgabe steht der Stress

An einem Sonntagabend kurz vor 18 Uhr sitzt Katrin hier auf der Terrasse des Hotels Madrisa und tippt hektisch in ihr Smartphone. In wenigen Minuten muss sie das Gerät abgeben und ist dann fünf Tage offline – aber die Klimaschutzmanagerin des Landkreises Dingolfing-Landau muss beruflich dringend noch einiges erledigen, muss den Kollegen Informationen übermitteln, um ein wichtiges Konzept rechtzeitig abzugeben. „Es war alles sehr hektisch für mich, ich hatte im Zug kein Internet gehabt und musste noch E-Mails versenden“, erinnert sie sich später. „Es war ein großer Stress, vor der Offline-Woche alles zu regeln. Ich hatte vor der Abreise bis in die Abendstunden gearbeitet und dann musste der Laptop zum ungünstigsten Zeitpunkt noch ein Update machen – da dachte ich schon: eine Woche ohne all diese Geräte, das wird gut!“

18 Uhr! Alle 40 Teilnehmenden geben ihre Smartphones ab, erhalten stattdessen für Notfälle ein uraltes Nokia-Gerät, das nicht viel mehr kann als telefonieren. Es sind zum Teil Einheimische, andere haben den Aufenthalt gewonnen, wieder andere sich privat angemeldet. Manche wollen wirklich einen Entzug machen, andere wollen es einfach nur einmal ausprobieren, ob sie ohne Smartphone auskommen.

Und jetzt? Was tun mit der gewonnenen Zeit?

Natur statt Screentime: Das Programm findet fast durcheghend im Freien statt. © Büro Ludowina

Laut Statista lag die durchschnittliche Internetnutzungsdauer in Deutschland im Jahr 2022 bei 65,2 Stunden pro Woche, und gemäß einer weiteren Studie vom Februar 2023 nutzen Menschen im Alter von 30 bis 49 Jahren ihr Smartphone im Schnitt rund 151 Minuten pro Tag, jüngere sogar 177 Minuten. Andere Studien gehen sogar von noch höheren Zahlen aus. Likes auf Social Media haben eine Ausschüttung von Dopamin zur Folge und wirken in unserem Gehirn wie Süßigkeiten oder Alkohol. Umgekehrt können fehlende Likes Frust oder sogar Depressionen auslösen. Eine Studie ergab, dass die Nutzung sozialer Medien sogar die Hirnentwicklung von Jugendlichen verändert. Trotz allem ist das Smartphone aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.

Oder doch?

Es gibt ja auch noch anderes im Leben.

„Das Programm im Offline-Dorf war wirklich besonders. Man konnte sich für unterschiedliche Aktivitäten eintragen. Ich habe alle mitgemacht und auch alle genossen“, berichtet Katrin. „Alles war sehr outdoorlastig und naturverbunden. Viel Wandern, Yoga hoch oben in den Bergen vor einer atemberaubenden Kulisse, Eisbaden in einem Gebirgsbach mit Österreichs bekanntestem Eisschwimmer Josef Köberl, Pilze suchen, ein Klettersteig. Es gab auch Abendtermine: Das Essen war immer besonders gestaltet, mal mit Lagerfeuer, mal ein Menü unter freiem Sternenhimmel, mal ein Galadinner. Dafür hat man sich viel Zeit genommen und ist während des Essens in Gespräche gekommen. Das war auf jeden Fall etwas Schönes.“

„Alles war sehr outdoorlastig und naturverbunden“: Katrin Riedmayr (M.) genoss jede der Aktivitäten im Offline-Dorf. © Büro Ludowina

„Gebt mir mehr Programm, ich muss beschäftigt sein!“

Insbesondere stellte Katrin fest, dass sich das Zeitgefühl ohne Smartphone verändert: „Die Zeit kam einem langsamer vor. Obwohl man immer Programm gehabt hat, ist die Woche nicht schnell vergangen.“ Sie habe das Handy nicht vermisst, ausgenommen die Videocalls mit Freunden. Aber einen gewissen Reflex, nach dem nicht vorhandenen Gerät zu greifen, verspürte sie durchaus. „Das ging vielen so. Manche fingen an, Fingernägel zu kauen, andere nahmen das alte Nokia-Handy in die Hand, um irgendetwas damit etwas zu machen. Aber da war nur Snake als Spiel drauf, das hat mich überhaupt nicht getriggert.“

Nur spätabends, alleine im Zimmer, sei ihr das Gerät manchmal abgegangen. „Bei mir war es so: Gebt mir mehr Programm, ich muss beschäftigt sein! Sonst fühle ich mich isoliert – oder ich fühle mich, als ob ich Zeit verschwende, obwohl ich etwas Sinnvolles machen könnte. Ich war echt froh, dass so viel los war und ich abends daher immer müde war. Das hat mich schon beeinflusst und ich muss zugeben, dass ich noch nie so einen regelmäßigen Schlafrhythmus gehabt habe.“

Ein Bad in der eiskalten Gumpe erfrischt Körper und Geist. © Büro Ludowina

Die Stimmung unter den Teilnehmenden empfand Katrin als sehr gut. „Man hat versucht, sich gegenseitig zu unterstützen, es waren inspirierende Menschen dabei. Es haben sich richtig tolle und ehrliche Gespräche entwickelt. Am Ende haben wir uns umarmt.“ Mit einigen ist sie immer noch in Kontakt.

Wir haben versucht, einen gesünderen Umgang mit dem Handy oder anderen technischen Geräten zu bekommen.

Katrin Riedmayr

Gesünderer Umgang mit dem Handy dank wissenschaftlicher Begleitung

Neben den Aktivitäten gab es im Offline-Dorf auch sogenannte Impulsgespräche mit Expertinnen vom Institut für Sport-, Alpinmedizin & Gesundheitstourismus der UMIT Tirol. Dabei wurden unterschiedliche Themen besprochen, etwa wie das Smartphone den Stresshaushalt beeinflusst. Außerdem gab es eine Morgenrunde, in der man still mit seinen Gedanken beschäftigt war. „Wir wurden rund um die Uhr wissenschaftlich begleitet“, erklärt Katrin. „Wir haben versucht, einen gesünderen Umgang mit dem Handy oder anderen technischen Geräten zu bekommen. Dabei ging es auch um E-Mails, Spielkonsolen, Fernsehkonsum oder den Umgang mit Nachrichten.“ Am Ende der Woche fand ein Feedback-Gespräch statt, in dem besprochen wurde, wie es einem geht oder was man für sich mitgenommen hat.

Menü unter freiem Himmel: Jede Abendmahlzeit war anders gestaltet. © Büro Ludowina

Rückblickend sagt Katrin, das Offline-Dorf sei die Erfahrung „zu tausend Prozent“ wert gewesen. „Erstens, weil ich viel über mich selbst erfahren habe, und zweitens, weil es eine Initialzündung war. Ich habe erkannt, dass Handlungsbedarf besteht, dass ich eine Aufgabe vor mir habe. Auch wenn ich jetzt noch immer eigentlich zu viel am Smartphone bin, merke ich es wenigstens und versuche, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen und den Konsum bewusster und effizienter zu handhaben. Ich will mich nicht berieseln lassen und lieber etwas kreieren, statt nur zu konsumieren. Es ist wie beim Essen – man versucht etwas zu genießen, anstatt es in sich hineinzustopfen.“

Katrin ist seit ihrer Kindheit immer viel in der Natur gewesen, andererseits hat sie auch das Schneiden von Videos als neue Passion entdeckt – eine kreative Tätigkeit, die jedoch viel Zeit vor dem Bildschirm bedingt. Durch das Offline-Dorf sei ihr alles bewusster geworden, sagt sie: „Wenn ich jetzt acht Stunden am Schreibtisch gesessen habe, dann nehme ich mir vor, einen Ausgleich zu schaffen und beispielsweise ins Freie zu gehen, weil mir meine Gesundheit wichtig ist.“

Kein Opfer des Handykonsums werden

Katrin ist im Nachhinein froh, dass ihre Eltern früher oft mit ihr in die Natur gegangen sind: „Dadurch sehe ich zum Beispiel fast nie fern.“ Ihre Handynutzung sei aber dennoch ein Problem. „Es ist wichtig, dass man ein Verständnis dafür hat“, hat sie erkannt. „Man darf nicht zum Opfer des Handykonsums werden.“ Wichtig sei, auch andere darauf aufmerksam zu machen, dass sie in der Gegenwart Dritter das Smartphone nicht nutzen sollen. „Eltern sollten das vorleben und die Zeit, in der ihre Kinder das Handy weglegen, durch andere Aktivitäten, Erlebnisse oder Spaziergänge in der Natur ersetzen.“

„Wie nennt man diesen Zustand nochmal, wenn man offline ist?“ – „Ach ja genau: LEBEN!“ © Büro Ludowina

Zu dem Projekt gehörten auch drei Wochen Vorbereitungszeit sowie zehn Wochen Nachbereitung. Ein wichtiges Element davon ist ein Journal, in dem die Teilnehmenden ihre Erfahrungen aufschreiben und jeden Tag ihre Stimmung erfassen. „Es gibt auch jetzt noch im Nachhinein Calls“, berichtet Katrin. „Sie drehen sich zum Beispiel darum, wie es mir ergangen ist, welche Probleme oder Erfolge ich hatte, was ich mir für die nächste Zeit vorgenommen habe.“

Das Offline-Dorf hat allen etwas gebracht

Außerdem werden immer wieder Impulse gesetzt: „Der letzte lautete zum Beispiel ‚Mehr Bewegung‘, der nächste ‚Mehr Entspannung‘. Das ist aufeinander aufgebaut. Dann kann man die Zeit, die man gewinnt, durch etwas füllen, das einem persönlich mehr bringt, als am Handy zu scrollen. Das ist wichtig, um die Routine langfristig zu etablieren. Man hat ja auch immer wieder mal Niederlagen beim Versuch, den Smartphone-Gebrauch zu reduzieren. Es fällt manchmal schwer, am Ball zu bleiben. Daher ist es wichtig, dass man begleitet wird und alles reflektiert – und dass man es nicht alleine macht.“

Der Abschied von der Vorarlberger Natur fällt niemandem leicht – aber alle nehmen wertvolle Erinnerungen mit nach Hause. © Büro Ludowina

Katrin betont, dass sie ohne Zögern sofort noch einmal am Offline-Dorf teilnehmen würde: „Ich hatte die Erkenntnis, dass ich theoretisch Suchtpotenzial habe, so eine Art emotionale Abhängigkeit. Wenn man die Tipps befolgt und nicht aufgibt, dann kann es das Leben auf jeden Fall positiv beeinflussen. Am Ende hat es jedem der Teilnehmenden etwas gebracht. Umsonst war da niemand.“

Das nächste Offline-Dorf unter dem Motto „Mehr Lebenszeit. Weniger Bildschirmzeit.“ soll im September 2024 stattfinden. Vormerken lassen kann man sich hier.

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